Wir alle kennen Personen, die im Gespräch besonders glaubwürdig erscheinen, weil sie das, worüber sie reden, am eigenen Leib erfahren haben. Genauso kommt es vor, dass bestimmte Botschaften — und seien die Worte noch so gut gewählt und wohl gemeint — nicht zu dem Menschen durchdringen, für den sie gemeint sind. In der Kommunikation ist nicht nur die Sprache wichtig, sondern auch wer spricht und wer zuhört. Besonders wenn man schwierige Lebensphasen durchlebt, hört man eher auf den Rat einer Person, die nachempfinden kann, was man gerade selber durchmacht, die versteht mit welchen Problemen man im Alltag zu kämpfen hat und aus eigener Erfahrung berichtet, wie sie diese überwunden hat.
Aus dieser grundlegenden Einsicht schöpft das Mentor:innenprojekt „Credible Messenger“ sein transformatives Potenzial. Der Name für das Projekt kommt aus den USA, wo dieser kriminalpräventive Ansatz entwickelt wurde und bereits seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich erprobt wird. Er bedeutet so viel wie „glaubhafte:r Mentor:in“ und bezeichnet Personen, die aufgrund ihres eigenen Hintergrunds bestimmte Inhalte authentisch vermitteln können. Bei diesem Ansatz werden entsprechend Menschen, die selber einmal straffällig und im Gefängnis waren und den Ausstieg aus der Kriminalität bereits bewältigt haben, in die Arbeit mit aktuell straffällig in Erscheinung getretenen jungen Menschen eingebunden. Da die Mentor:innen zudem über ähnliche sozialräumliche und lebensweltliche Erfahrungen wie die jungen Menschen verfügen, können sie besonders auch jene Jugendlichen positiv beeinflussen, die durch die klassischen Maßnahmen der Kriminalprävention nicht oder nur sehr schwer erreicht werden.
Obwohl in Deutschland ein gut funktionierendes, vom Erziehungsgedanken geprägtes System der Jugendhilfe besteht, wird eine bestimmte Gruppe junger Menschen in besonderen sozialen Problemlagen, die wiederholt durch Straftaten auffallen, durch klassische Ansätze nur schwer erreicht. Die menschlichen und gesellschaftlichen Kosten von Kriminalität sind sehr hoch. Die emotionalen und sozialen Konsequenzen kriminellen Verhaltens begleiten die Opfer teilweise ihr Leben lang. Die hohen Rückfallquoten von jungen Menschen, die einmal oder mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, verlangen daher dringend nach innovativen Lösungen im Bereich der Prävention, Intervention und Resozialisierung. Die Konflikte jugendlicher Straftäter:innen entstehen meist in einem problembelasteten sozialen Umfeld. Zusätzlich zu den ohnehin schwierigen Herausforderungen des Jugendalters, werden junge Menschen in sozial marginalisierten Stadtteilen häufig zusätzlich mit stigmatisierenden Fremdzuschreibungen belastet, was die Entstehung eines negativen Selbstbilds begünstigt.
Hören junge Menschen Botschaften dieser Art nur oft genug, fangen sie an, diese für sich zu adaptieren und reagieren mit aggressivem Verhalten und einer grundsätzlichen „Oppositionskultur“ gegenüber staatlichen Institutionen und Maßnahmen, die sie der Mehrheitsgesellschaft zuschreiben. Junge Menschen müssen dringend eine positive Botschaft hören: Sie müssen hören, dass sie ihrem Leben selbst einen Sinn verleihen können und dass sie die Möglichkeit haben, erfolgreich zu sein. Sie müssen hören, dass sie mehr sind als ihre schlimmsten Fehler, dass die Vergangenheit nicht ihre Zukunft bestimmen muss und es immer mehr Alternativen im Leben gibt, als man zuweilen denkt. Vor allem müssen sie wissen, dass es möglich ist, ein Leben zu führen, in dem sie ihre Schwächen überwinden, ihre Träume verwirklichen, ihre Freund:innen und Familien lieben und in einem Umfeld leben können, das sie akzeptiert. Statt als Problem definiert zu werden, können sie Teil von Lösungen und positiven Veränderungen in der Gesellschaft sein.
Feste Bezugspersonen, wie die glaubhaften Mentor:innen können mit den jungen Menschen eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen und diese Botschaften transportieren. Indem sie die jungen Menschen unterstützen und in ihrem Denken und Handeln herausfordern, sind sie gleichzeitig in der Lage, Veränderungen zu bewirken und Stabilität zu stiften.
Jugendliche Straftäter:innen werden von glaubwürdigen Mentor:innen darin unterstützt, einen Lebenswandel zu vollziehen, indem sie gemeinsam negative Einstellungen und Verhaltensweisen reflektieren und diese durch positive Praktiken und gesunde zwischenmenschliche Beziehungen ersetzen.
Die Mentor:innen erhalten die Möglichkeit einer sozialversicherungspflichtigen Anstellung und sind Teil des Teams von Tatort Zukunft e. V. Im Rahmen des Projektes bekommen sie zusätzlich eine umfangreiche Weiterbildung und erhalten hierfür ein Zertifikat über die geleisteten Schulungseinheiten. Mit ihrer Teilnahme am Projekt leisten sie eine sinnstiftende, verantwortungsvolle Aufgabe. Während ihre eigene Vergangenheit häufig als Stigma wirkt, wird sie hier zu einer Ressource, um anderen Menschen zu helfen und ein wichtiges gesellschaftliches Problem zu bearbeiten.
Unser Netzwerk sowie das soziale Umfeld der jungen Menschen werden maßgeblich in das Projekt miteinbezogen. Räumliche, personelle und finanzielle Ressourcen werden eingesetzt, um mit den jungen Menschen einen Lebensalltag abseits von kriminellen Handeln zu gestalten und dadurch gemeinsam realistische Optionen für ihr zukünftiges Leben zu erarbeiten.
Unsere Öffentlichkeitsarbeit trägt dazu bei, einen Paradigmenwechsel in der Straffälligenhilfe anzuregen. Ziel ist es, innovative Ansätze und ihr transformatives Potential sichtbar werden zu lassen. Dabei verstehen wir uns als Ergänzung zu bestehenden Maßnahmen der Straffälligen- und Jugendhilfe.
Langfristig ist es unser Ziel, die öffentliche Sicherheit zu stärken indem Rückfallquoten reduziert und zukünftige Straftaten verhindert werden.
Zunächst werden in einem differenzierten Auswahlverfahren geeignete Kandidat:innen für die Rolle als Mentor:innen identifiziert. Nach der Auswahl erlernen die Mentor:innen im Rahmen einer Schulung verschiedene pädagogische und sozialarbeiterische Kompetenzen. Diese umfasst 100 Schulungsstunden und wird von diversen internen und externen Dozierenden durchgeführt. Somit soll gewährleistet sein, dass die Mentor:innen bestmöglich auf ihre Arbeit mit straffällig gewordenen Jugendlichen vorbereitet sind. Wir verfolgen das Ziel, mit anderen beteiligten Fachkräften der Jugendhilfe vertrauensvoll und zuverlässig zusammenzuarbeiten.
Im Anschluss an die Schulung beginnt die konkrete Begleitung und Betreuung zwischen den Mentor:innen und den Jugendlichen. Ziel ist unter anderem der Aufbau einer belastbaren Beziehung zwischen Mentor:in und Mentee. Dafür treffen sich die Mentor:innen regelmäßig mit den jungen Menschen zu Einzel- und Gruppengesprächen, um zu reflektieren, praktische Herausforderungen des Alltags zu besprechen und realistische Handlungsstrategien für ein straffreies Leben zu entwickeln. Dabei setzt das Projekt auf einen niedrischschwelligen Zugang und ist für alle Jugendlichen kostenfrei. Die Mentor:innen gestalten die Betreuungszeit individuell mit ihrem Mentee. Insbesondere unsere Verortung im Hangar1 bietet hier vielfältige Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung.
Mit unserer Projektidee haben wir im Dezember 2020 den „Preis für Soziale Innovation“ des Wettbewerbs Gesellschaft der Ideen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gewonnen. Damit sind wir in die zweite Runde, der sogenannten „Konzeptphase“ des Wettbewerbs, gelangt. In dieser galt es, die Idee zu einem Konzept auszuarbeiten, in dem vertiefende Fragestellungen zu der Projektumsetzung beantwortet wurden. Außerdem mussten wissenschaftliche Einrichtungen als Kooperationspartner:innen gefunden werden, sodass die Durchführung des Projektes in der anschließenden „Erprobungsphase“ evaluiert werden kann. Hierfür konnten wir Camino als unabhängige Forschungseinrichtung gewinnen. Von Januar 2022 bis Juni 2023 haben wir das Projekt in einem Pilotdurchlauf gestartet und sind seit März 2023 dabei dieses weiter zu verstetigen. Diesmal in Zusammenarbeit mit der Freien Hilfe Berlin e.V.