Fakt 7
Kinder von Gefangenen
Gefangenen wird die Freiheit entzogen, ihren Kindern wird ein Elternteil entzogen.

Kinder mit einem Elternteil im Gefängnis

Schätzungsweise sind in Deutschland jährlich 100.000 Kinder davon betroffen, dass eines ihrer Elternteile inhaftiert ist.[1]
Für Gefangene mit Kindern gilt die gesetzliche Regelungen des § 24 Strafvollzugsgesetz, nach der ihnen mindestens eine Stunde Besuch im Monat zusteht. Die Monitoring-Stelle der UN-Kinderrechtskonvention führte 2017 bundesweit eine Befragung von 173 Justizvollzugsanstalten durch, von denen 83 antworteten. Die Analyse der angegebenen praktizierten Besuchszeitenregelungen ergab, dass Kinder von Gefangenen das entsprechende Elternteil durchschnittlich eins bis vier Stunden im Monat sehen. Die Hälfte der Anstalten verwies außerdem auf komplexere Regelungen, die in der Aufstockung der Regelbesuchszeit, in besonderen Familienbesuchszeiten oder in familienfreundlichen Langzeitbesuchen bestehen können. Zusätzlich besteht die Möglichkeit der Kontaktaufnahme via Telefon, Schriftverkehr und Internet. Auch diesbezüglich unterschieden sich die Praktiken, der Analyse zufolge, je nach dem jeweiligen Bundesland und der Justizvollzugsanstalt, stark. Fast alle Anstalten (94%) gaben an, dass die Kinder sowohl auf dem Festnetz als auch auf dem Mobiltelefon angerufen werden dürfen. Dass Kinder ihre inhaftierten Eltern direkt über Festnetz oder Mobiltelefon anrufen können, hat dagegen nur eine Anstalt bejaht. In den anderen kann größtenteils lediglich ein Rückruf angefordert werden.[2]
Nach dem Angleichungsgrundsatz des Strafvollzugsrecht müssen die Lebensverhältnisse im Gefängnis dem Leben außerhalb so weit wie möglich angeglichen werden. Dem werden die geringen Besuchszeiten und Kontaktmöglichkeiten nicht gerecht. Auch die Kinder von Inhaftierten sind in ihren Rechten beeinträchtigt. Der Schutz der Familie, das Recht des Kindes auf Berücksichtigung seines Wohles (gerade bei Maßnahmen von öffentlichen Einrichtungen) sowie das Recht des Kindes auf persönlichen Kontakt zu seinen Eltern sind völker- und grundrechtlich manifestiert. Insbesondere die UN-Konvention über die Rechte des Kindes regelt in Artikel 9 explizit die Trennung eines Kindes von einem oder beiden Elternteilen und verpflichtet die Vertragsstaaten Fall zur Beachtung des Rechts des Kindes, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbaren Kontakt zu seinen beiden Eltern zu pflegen.[3] In Hinblick auf diese fundamentalen Kinderrechte sind die Besuchszeiten und Kontaktmöglichkeiten für die Kinder inhaftierter Eltern nicht ausreichend. Hinzu kommt, dass der Ablauf und die Räumlichkeiten, in denen der Besuch stattfindet, selten kinderfreundlich sind.

Die Gefängnisstrafe eines Elternteils hat materielle und emotionale Auswirkungen auf die Kinder und die Familien. Seit langem zeigen Studien, dass betroffene Kinder unter psychologischem Stress und Stigmatisierung leiden.[4] In den Interviews der 2013 durchgeführten COPING-Studie der Universität Dresden und des Treffpunkt e.V. berichteten die befragten Kinder, dass sie sich häufiger Besuche, mehr Zeit mit der Familie und Hilfe bei den Hausaufgaben wünschen. Auch erzählten viele, dass sie in der Schule oder mit Freunden kaum über ihre Situation sprechen, weil sie Angst haben, dass sie und ihre Familien verurteilt oder schlecht gemacht werden.[5]

Kinder, die im Gefängnis leben

Es gibt Kinder, die mit ihren Eltern im Gefängnis leben. Nach § 80 StVollzG ist dies bis zum Schulalter der Kinder möglich. Betroffen sind vor allem Kinder, die nach dem Strafantritt der Mutter geboren werden. Nach § 76 StVollzG soll dies in einem Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses geschehen. Nach § 79 StVollzG dürfen in der Geburtsurkunde des Kindes nicht die Justizvollzugsanstalt als Geburtsort angegeben oder die Gefangenschaft der Mutter vermerkt werden. All diese Regelungen finden sich auch in den entsprechenden Gesetzen der Bundesländer wieder. Hintergrund der Möglichkeit der Unterbringung von Kindern bei einem Elternteil im Gefängnis ist, dass ihnen der enge Kontakt im Kleinstkindalter nicht verwehrt werden soll. Dadurch soll die Beziehung zum entsprechenden Elternteil gewährleistet und dem Kind eine Chance auf seine natürliche Entwicklung gegeben werden. Trotz dieser berechtigten Überlegung kann es als fragwürdig erachtet werden, ob ein Gefängnis ein geeigneter Ort für das Aufwachsen eines Kindes ist. Deutschlandweit werden jährlich circa 60 Kinder in Haft geboren.[6] Bundesweit gibt es etwa 90 Mutter-Kind-Haftplätze, in denen die Kleinkinder meist bis zum Alter von drei Jahren leben dürfen.[7] Die Auslastung ist insbesondere im geschlossenen Vollzug hoch.[8]

Perspektiven

Die Empfehlung CM/Rec(2018)5 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zu Kindern inhaftierter Eltern gibt Leitlinien für einen familienorientierten Strafvollzug vor. Diese umfassen unter anderem bessere Besuchsbedingungen und Kontaktmöglichkeiten, die Berücksichtigung der Elternschaft bei Verurteilungen und kinderfreundliches Informationsmaterial über das Leben im Gefängnis. Beispielsweise wird gefordert, dass den Kindern mindestens einmal in der Woche eine Besuchsmöglichkeit eingeräumt wird und sie zu wichtigen Ereignissen wie Geburtstagen oder Einschulungen auch außerhalb des Gefängnisses von dem inhaftierten Elternteil besucht werden können. Die Empfehlung spricht sich außerdem für den besonderen Schutz von in Gefängnis geborenen Kindern sowie die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse von Kleinstkindern mit Eltern im Gefängnis aus. Dies beinhaltet beispielsweise, dass den Kindern dieselben Freiheiten und Rechte eingeräumt werden müssen, die Kindern außerhalb des Gefängnisses zustehen.[9]

Zunehmend wird versucht, die Kontakt- und Besuchsmöglichkeiten zu erweitern, den Vollzug familienorientierter zu gestalten und kinderfreundliche Angebote zu schaffen. Die Untersuchung der Monitoring-Stelle der UN-Kinderrechtskonvetion stellte fest, dass es in über 75% der Anstalten keine für die Belange der Kinder und Familien verantwortliche Person gibt. Familienorientierte Angebote werden häufig in Zusammenarbeit mit freien Trägern oder der Seelsorge umgesetzt. Dazu gehören Angebote für Eltern wie Vätergruppen, Familienangebote wie besondere Besuchsräume (“Eltern-Kind-Räume” oder “Bindungsräume”) und Familienfreizeiten sowie Sondersprechstunden für Kinder.[10]

Quellen

1: Bieganski, J, Starke, S., Urban, M. (2013): Informationsbroschüre Kinder von Inhaftierten: Auswirkungen. Risiken. Perspektiven. Ergebnisse und Empfehlungen der Coping-Studie. Dresden/Nürnberg. Online. https://www.treffpunkt-nbg.de/projekte/coping/ergebnisse.html; Kury, H., Kern, J. (2003): Frauen und Kinder von Inhaftierten. Kriminologisches Journal 2, S. 97-110 ; Murray, J., Farrington, D. P. (2005): Parental imprisonment effects on boys’ antisocial behaviour and delinquency through life course. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 46(12), S. 1269-1278 .

2: Feige, J. (2019): Kontakt von Kindern zu ihren inhaftierten Eltern: Einblicke in den deutschen Justizvollzug (Analyse). Deutsches Institut für Menschenrecht, Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention. Berlin, S. 22 ff.

3: Vgl. Feige, J. (2019): S. 12 ff.

4: Beispielsweise: Murray, J., Farrington, D.P. (2008): Parental imprisonment: Long-lasting effects on boys’ internalizing problems through the life course. Development and Psychopathology 20, S. 273-290 .

5: Bieganski, J, Starke, S., Urban, M. (2013). ; Penal Reform International, Thailand Institute of Justice (2020): Global Prison trends 2020. Version 2. S. 24 .

6: Zolondek, J. (2007): Lebens- und Haftbedingungen im deutschen und europäischen Frauenvollzug. Mönchengladbach.

7: Galli, T. (2020): Weggesperrt - Warum Gefängnisse niemandem nützen. Hamburg, S. 235 (Fn. 112) .

8: Siebert, J. (2018): Mutterschaft ist für den Staat kein Grund, von einer Haftstrafe abzusehen. Süddeutsche Zeitung Nr. 184. Online. https://www.sueddeutsche.de/leben/strafvollzug-und-familie-wenn-eine-mutter-hinter-gittern-sitzt-1.4085975-2

9: Vgl. Council of Europe (2018): Empfehlung CM/Rec(2018)5 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zu Kindern inhaftierter Eltern. Online. https://www.netzwerk-haftentlassung-berlin.de/images/Arbeitskreis_Kinder_Familie/deutsche-Empfehlungen_Europarat_Kinde.pdf (Kinderfreundliche Version auf englisch von children of prisoners europe: https://childrenofprisoners.eu/wp-content/uploads/2020/06/EN-COPE-booklet-digital_1.pdf)

10: Feige, J. (2019): S. 32 ff. ; siehe auch: Roggentin, K. (2015): Kinder Inhaftierter - Vom Verschiebebahnhof aufs Präventionsgleis, in: Kerner, H.-J., marks, E. (Hrsg.): Internetdokumentation des Deutschen Präventionstages. Hannover. Online. https://bag-s.de/fileadmin/user_upload/Beitrag_Vom-Verschiebebahnhof-aufs_Praeventionsgleis.pdf; Vgl. BAG-S (2014): Mit Kreativität gegen den grauen Besuchsalltag. Online. https://www.bag-s.de/aktuelles/aktuelles0/mit-kreativitaet-gegen-den-grauen-besuchsalltag

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