Das Thema Femizid hat in den letzten Jahren zunehmende mediale Aufmerksamkeit erfahren. Die Faktenlage bleibt dennoch schwer zu fassen, denn der Begriff „Femizid“ ist in Deutschland rechtlich und politisch bislang nicht anerkannt.[2] Die WHO schreibt zu Femiziden folgendes:
In Deutschland fehlt eine offizielle Definition dieses Begriffes, die Bundesregierung hat bisher keine anerkannt. Fälle, in denen Frauen aus geschlechtsspezifischen Gründen getötet werden, werden daher oft als „Beziehungs-„ oder „Eifersuchtsdramen“ abgetan, was die strukturellen Ursachen hinter diesen Taten verschleiert und sie als private, individuelle Ereignisse darstellt.[4]
Dies steht im starken Gegensatz zur Haltung internationaler Organisationen wie der WHO, die auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam machen, Femizide als eine Form von Gewalt anzuerkennen, die einer strukturellen Bekämpfung bedarf.
Damit bleibt die Möglichkeit, die gesellschaftlichen und politischen Ursachen von Femiziden offen zu adressieren, weitgehend ungenutzt.
Der Begriff „Femizid“ wurde erstmals 1976 von der Soziologin und feministischen Aktivistin Diana E. H. Russell öffentlich verwendet. Russell benutzte den Begriff, um die sexualpolitischen Hintergründe solcher Morde sichtbar zu machen und die patriarchalen Machtstrukturen, die diesen Taten zugrunde liegen, anzusprechen. Russell fasst unter dem Begriff „Femizid“ vor allem zwei Formen der Tötung von Frauen zusammen: Erstens die „misogynen Tötungen“, also Morde, die aus Frauenhass und Verachtung begangen werden. Zweitens bezieht sie sich auf Morde an Frauen, die patriarchalen Rollenerwartungen nicht entsprechen und sich männlicher Kontrolle und Dominanz entziehen. Ihre Definition ist eine gezielte Abgrenzung von „Homicide“ – der allgemeinen Tötung eines Menschen – und verleiht der gezielten Gewalt gegen Frauen wegen ihres Geschlechts einen eigenen Namen und somit gesellschaftliches Gewicht.[5]
Femizide beginnen selten plötzlich. Oft gibt es eine Vorgeschichte von emotionalem Missbrauch, psychischer Gewalt und sozialer Kontrolle. Manipulation, Isolation von Freund:innen und Familie sowie ständige Überwachung sind häufige Mechanismen, mit denen Täter die Abhängigkeit und Machtlosigkeit ihrer Partnerinnen verstärken. Diese Form von Gewalt hinterlässt keine sichtbaren Spuren, hat aber massive psychische Auswirkungen und ist ein deutliches Warnsignal für den Übergang zu physischer Gewalt.[6]
Gewalt gegen Frauen ist tief in patriarchalen Strukturen verankert, die in vielen Gesellschaften immer noch existieren. Diese Strukturen stützen sich auf veraltete Rollenbilder und die Vorstellung, dass Männer Macht über Frauen ausüben dürfen. In Beziehungen bedeutet dies oft die Kontrolle über Partnerinnen, deren persönliche Freiheit eingeschränkt wird.[7]
Wie verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert Gewalt gegen Frauen in Deutschland ist, zeigte eine repräsentative Studie von 2023 von der Hilfs- und Entwicklungsorganisation Plan Internationale:
Häufig wird auch die Frage aufgeworfen, warum sich eine Frau, die Gewalt erlebt nicht von ihrem Partner trennt – Aspekte wie finanzielle Abhängigkeiten, familiäre Verpflichtungsgefühle oder auch Kinder werden dabei häufig nicht gesehen. Wenn Frauen schließlich versuchen, diese Strukturen zu verlassen können Konflikte noch weiter eskalieren und zu Gewalt führen.[9] Denn die meisten Femizide finden statt, wenn Frauen sich aus diesen engen Bindungen zu lösen versuchen.[10]
Die Istanbul-Konvention, offiziell Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, wurde 2011 in Istanbul verabschiedet. Sie gilt als eines der umfassendsten internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und sieht konkrete Maßnahmen vor, um geschlechtsspezifische Gewalt – einschließlich Femiziden – zu verhindern, zu verfolgen und zu ahnden. Staaten werden unter anderem dazu verpflichtet, durch Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Entstehung von Gewalt entgegenzuwirken, Betroffene zu schützen und zu unterstützen, Gesetze zu erlassen, die die Gewaltformen unter Strafe stellen, sowie die Taten aufzuklären und zu sanktionieren. Vorgesehen ist beispielsweise auch, dass Gerichte Gewalt durch den (ehemaligen) Partner strafverschärfend auslegen können.[11]
Doch die Realität sieht leider noch längst nicht so aus.
Genaue Zahlen zu geschlechtsspezifischen Tötungen außerhalb von Partnerschaften werden vom Bundeskriminalamt nicht statistisch erfasst, sodass hier auch das Hellfeld unbekannt ist.[12] Folglich kann man auch keine Angaben zu der Anzahl von Femiziden in Deutschland machen, denn diese werden schließlich auch außerhalb von Partnerschaften verübt.
Auch die Forschungslage ist dünn. Hierzulande existieren lediglich einzelne Forschungsarbeiten, die sich mit Teilbereichen des Femizids – insbesondere mit Partnerschaftstötungen und sog. Ehrenmorden – beschäftigen. Der stellvertretende Direktor des KFN (Kriminologisches Forschungszentrum Niedersachsen e.V.) dazu:
Diese fehlende Sichtbarkeit und Anerkennung spiegelt sich ebenfalls in der Medienlandschaft wieder. Als „Ehrenmorde“ und „Familientragödien“ werden Femizide betitelt, ohne dabei auf gesellschaftliche Strukturen und Zusammenhänge einzugehen. Femizide sind keine individuellen Einzelfälle sind, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem.[14]
Femizide sind keine individuellen Einzelfälle, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Häufig wird gerade Gewalt in Beziehungen jedoch als „Privatsache“ abgetan, und Anzeigen werden nicht konsequent verfolgt. Gerichte urteilen in vielen Fällen milde und berücksichtigen nicht, dass Femizide oft die letzte Stufe eines langen Zyklus der Gewalt darstellen. Hinzu kommt, dass es keinen eigenen Straftatbestand für Femizide in der Gesetzgebung gibt.[15]
Die Anerkennung und Untersuchung von Femiziden ist nicht nur eine politische, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Die Debatte um Femizide verdeutlicht, wie stark Machtstrukturen, Frauenfeindlichkeit und Gewalt gegen Frauen miteinander verwoben sind.
Femizide stellen das tödliche Ende eines Kreislaufs aus Macht und Gewalt dar, der auf patriarchalen Strukturen beruht. Um Frauen besser vor dieser extremen Gewalt zu schützen, bedarf es einer verstärkten gesellschaftlichen Sensibilisierung sowie eines Ausbaus von Hilfsangeboten.
Es ist unerlässlich, Femizide als das zu benennen, was sie sind: Tötungen aufgrund geschlechtsspezifischer Machtstrukturen, die in einer gleichberechtigten Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.
1:
Gewalt gegen Frauen in Deutschland 2023.
UN Women Deutschland. https://unwomen.de/gewalt-gegen-frauen-in-deutschland/
2:
Habermann, J.
(2021):
Möglichkeiten der Sanktionierung von Femiziden im deutschen Strafrecht – Ist ein Femizid-Straftatbestand notwendig?.
Neue Kriminalpolitik, 33(2),
S. 189-208
. https://doi.org/10.5771/0934-9200-2021-2-189
3:
Sexual and Reproductive Health and Research (SRH)
(2012, 29. September):
Understanding and addressing violence against women: femicide.
https://www.who.int/publications/i/item/WHO-RHR-12.38
4:
Wischnewski, Alex
(2018):
Femi(ni)zide in Deutschland. Ein Perspektivwechsel.
In: Femina Politika. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft.
5:
Russell, Diana E. H.
(2011):
The origin and importance of the term femicide.
Abgerufen unter: https://www.dianarussell.com/origin_of_femicide.html
6:
https://news.rub.de/wissenschaft/2022-02-23-kriminologie-ich-bring-euch-um-wenn-du-nochmal-so-spaet-heimkommst
7:
Prem, S.
(2023):
Julia Cruschwitz/Carolin Heantjes
(2021):
Femizide. Frauenmorde in Deutschland.
Stuttgart: S. Hirzel Verlag. GENDER – Zeitschrift für Geschlecht Kultur und Gesellschaft, 15(2),
S. 156-158
https://doi.org/10.3224/gender.v15i2.14
8:
Hofmann, K., Koch, S., Ulferts, C. & Plan International
(2023):
SPANNUNGSFELD MÄNNLICHKEIT.
https://www.plan.de/fileadmin/website/04._Aktuelles/Umfragen_und_Berichte/Spannungsfeld_Maennlichkeit/Plan-Umfrage_Maennlichkeit-A4-2023-NEU-online_2.pdf
9:
Prem, S.
(2023):
Julia Cruschwitz/Carolin Heantjes
(2021):
Femizide. Frauenmorde in Deutschland.
Stuttgart: S. Hirzel Verlag. GENDER – Zeitschrift für Geschlecht Kultur und Gesellschaft, 15(2),
S. 156-158
https://doi.org/10.3224/gender.v15i2.14
10:
Cruschwitz, J. & Haentjes, C.
(2021):
Femizide.
In S. Hirzel Verlag eBooks,
https://doi.org/10.3813/9783777630700
11:
Council of Europe – CoE
(2011):
Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht.
Istanbul.
12:
Bundeskriminalamt (BKA)
(2023):
Häusliche Gewalt. Lagebild zum Berichtsjahr 2022.
Wiesbaden: Bundeskriminalamt.
13:
(2024):
Femizide: Umfassende Studie zur Tötung von Frauen in Deutschland.
Universität Tübingen. https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/attempto-online/newsfullview-attempto/article/femizide-umfassende-studie-zur-toetung-von-frauen-in-deutschland/
14:
(2023):
Kein Familiendrama: Berichterstattung über Femizide und der Umgang mit Überlebenden und Angehörigen.
https://www.journalist.de/werkstatt/werkstatt-detail/kein-familiendrama-berichterstattung-ueber-femizide-und-der-umgang-mit-ueberlebenden-und-angehoerigen/
15:
Wrobel, C.
(2023):
Täter nicht gleich Täter. Bei juristischer Bewertung von Femiziden werden unterschiedliche Maßstäbe angelegt – mehr Forschung nötig.
https://www.jungewelt.de/artikel/461000.femizide-täter-nicht-gleich-täter.html