Fakt 4
Drogen
Haft macht süchtig.

1/3
Ungefähr jeder Dritte in Haft ist substanzabhängig.[1] 
44%
der Gefangenen haben eine Suchtproblematik.

Bei Drogen handelt es sich um natürliche, synthetische oder chemische Stoffe, die über das zentrale Nervensystem auf den Organismus einwirken. Dadurch werden Wahrnehmung, Fühlen und Denken beeinflusst. Die Gemeinsamkeit der vielen verschiedenen Substanzen besteht darin, dass sie bei einem Teil der Konsumierenden positive Auswirkungen hat. Dies betrifft die psychische (Euphorie, Stress- und Angstabbau), körperliche (Schmerzlinderung, Beruhigung, Wachheit) und soziale Ebene (Gemeinschaft, Akzeptanz). In der Folge kann es zu einer Steigerung des Konsums kommen, welcher in manchen Fällen zu einem Kontrollverlust und damit verbunden Substanzmissbrauch und/oder -abhängigkeit führen kann.[2]

Wie kommen die Drogen ins Gefängnis?

Es gibt verschiedene Wege, über die Drogen ins Gefängnis gelangen. Zum einen werden sie von Besucher*innen, neuen und zurückkehrenden Gefangenen sowie Gefängnispersonal in die Justizvollzugsanstalten geschmuggelt. Zum anderen werden sie per Post geschickt oder schlicht über die Gefängnismauern geworfen.[3]

Prävalenz

Die Häufigkeit von Drogenmissbrauch und -abhängigkeit ist bei Gefangenen um ein Vielfaches höher als in der Allgemeinbevölkerung.[4] Dies konnten sowohl internationale Untersuchungen als auch deutsche Studien zeigen.[5] So liegt die Lebenszeitprävalenz, also der Anteil an Personen, die mindestens einmal in ihrem Leben an einer Substanzabhängigkeit leiden, in der deutschen Allgemeinbevölkerung bei 9.9 %.[6] Eine Untersuchung mit 139 Gefangenen in Nordrhein-Westfalen ergab eine Lebenszeitprävalenz von 69 %.[7]

Suchtproblematik in deutschen Gefängnissen

Abbildung 1: Suchtproblematik in deutschen Gefängnissen.

Am Stichtag, dem 31.03.2018, wurde bei 44 % der Gefangenen zum Zeitpunkt des Haftantritts eine Suchtproblematik (Abhängigkeit und Missbrauch) festgestellt (Abbildung 1). Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung in zwölf deutschen Bundesländern mit insgesamt über 40.000 Gefangenen. Ein großer Teil der drogenkonsumierenden Personen im Gefängnis haben bereits vor ihrer Inhaftierung Drogen eingenommen. Es gibt jedoch auch Personen, die erst nach der Inhaftierung Drogen einnehmen. Schätzungsweise 3-26 % der Drogenkonsumenten in europäischen Gefängnissen beginnen mit dem Konsum erst in Haft.[8]
Bei den substanzabhängigen männlichen und weiblichen Gefangenen überwiegt der multiple Substanzgebrauch, gefolgt von Opioiden, Cannabinoiden und Alkohol (Abbildung 2).[9] Vor allem neue psychoaktive Substanzen stellen die Justizvollzugsanstalten aktuell vor Herausforderungen. Sie gelten als besonders bedenklich und stehen mit akuter Vergiftung und chronischem Konsum in Verbindung.[10]


Abbildung 2: Unterschiedliche Substanzmittel(gruppen) bei Suchtproblematik differenziert nach Geschlecht. (Werte unterhalb von 10% werden zur besseren Lesbarkeit nicht ausgewiesen.)[11]

Folgen für das Leben im Gefängnis

Drogenhandel und Drogenkonsum stellen in vielerlei Hinsicht Probleme für den Strafvollzug dar. Sie befördern die kriminelle Subkultur im Gefängnis, erschweren die Arbeit des Gefängnispersonals, bedrohen die Sicherheit im Gefängnis und insbesondere die Gesundheit der Gefangenen.[12] Hier sind vor allem drogenbedingte Todesfälle, Selbstverletzungen, Suizidversuche und Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis C zu nennen. Letztere werden durch die gemeinsame Nutzung von Injektionsgeräten übertragen.[13]
Der Umgang mit Drogenabhängigen im Gefängnis stellt in Bezug auf Vollzugslockerungen, also für das befristete Verlassen des Gefängnisses, um bspw. einer Familienfeier beizuwohnen oder einer Außenbeschäftigung nachzugehen, eine weitere Schwierigkeit dar. Die Betroffenen gelten oftmals als nicht lockerungsgeeignet, weil eine Sucht- und Rückfallgefährdung und dadurch eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr angenommen werden. Dies hat zur Folge, dass die Gefangenen ihr Verhalten nicht in Freiheit erproben können, was ein wichtiger Bestandteil der Entlassungsvorbereitung und des Resozialisierungsprozesses ist.[14]
Die Sicherheit innerhalb der Anstalten ist insofern gefährdet, als dass Drogenkonsum subkulturelle Aktivitäten zur Folge hat. Zudem wird ein Zusammenhang mit gewalttätigem Verhalten diskutiert. So zeigte eine Studie, dass bei Gefangenen, die bereits für Drogenbesitz und -konsum diszipliniert wurden, die Wahrscheinlichkeit für gewalttätiges und störendes Verhalten etwa fünfmal höher war als bei anderen Gefangenen. Es kann jedoch nicht definitiv festgestellt werden, ob der Drogenkonsum innerhalb des Gefängnisses selbst ein erhöhtes Gewaltrisiko verursacht. Es ist davon auszugehen, dass noch eine Reihe weiterer situativer und persönlicher Faktoren eine Rolle spielen.[15]

Versorgungslage

Entsprechend des Angleichungsgrundsatzes haben Gefangene einen Anspruch auf eine gesundheitliche Versorgung, die der außerhalb der Haft entspricht. Im Vergleich zu möglichen Behandlungsmaßnahmen für Drogenkonsumenten außerhalb der Haft sind Maßnahmen für Gefangene jedoch oft von geringerer Qualität oder gar nicht vorhanden.[16] Das Angebot an Behandlungsmaßnahmen ist sehr divers und reicht von Entgiftung, Einzeltherapie, gruppentherapeutischen Maßnahmen hin zur Unterbringung auf speziellen Stationen.[17] Die überwiegend abstinenzorientierten Maßnahmen in Haft lassen die sozialen und gesundheitlichen Versorgungsnotwendigkeiten außer Acht. Abstinenz ist nicht für alle Menschen eine realistische Option.[18]
Von den konsumierenden Gefangenen in Deutschland nimmt ein nicht zu unterschätzender Anteil Opioide (z. B. Heroin) ein. Die Standardtherapie bei Opioidabhängigkeit ist die Substitutionstherapie. Hierbei werden Ersatzstoffe (z. B. Methadon) verabreicht. Dadurch kann die Nachfrage nach Opioiden im Vollzug reduziert und die Betroffenen sozial und psychisch stabilisiert werden. Dabei darf diese Behandlung nicht als Maßnahme für einen geordneten Vollzug missverstanden werden, sondern als medizinisch begründete Therapieform.[19] Die Substitutionsquote, also der Anteil Substituierter an der Gesamtzahl Opioidabhängiger, lag zum Stichtag am 31.08.2018 bei 23,9 %.[20] Dabei variiert diese Quote auf Länderebene stark, da nicht in allen Bundesländern Substitutionsbehandlungen angeboten werden, obwohl sie allen Betroffenen in Haft als Regelbehandlung angeboten werden müsste.[21] Mögliche Gründe dafür sind die Stigmatisierung Drogenabhängiger, mangelnde Kenntnisse des Fachpersonals und geringe personelle und finanzielle Ressourcen.[22]
Zur Eingrenzung der Übertragung von Infektionskrankheiten hat sich die Vergabe steriler Spritzen an intravenös Drogen konsumierende Menschen als effektive Maßnahme erwiesen. Trotz der vielfach positiven Erfahrungen mit Spritzenvergabe in verschiedenen Projekten wird dies in den deutschen Justizvollzugsanstalten nicht flächendeckend umgesetzt. Stattdessen wird der Besitz von Spritzen sanktioniert, was zu heimlichem Konsum und Tausch und damit einem erhöhten Infektionsrisiko führt.[23]

Quellen

1: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung beim Bundesministerium für Gesundheit (2019): Drogen- und Suchtbericht 2019. Berlin, Frankfurt.

2: Bühringer, G., Behrendt, S. (2011): Störungen durch Substanzkonsum: Eine Einführung. In: Wittchen, H.U., Hoyer, J. Klinische Psychologie und Psychotherapie. Berlin, Heidelberg, S. 698-714 .

3: O’Hagan, A., Hardwick, R. (2017): Behind Bars: The Truth about Drugs in Prisons. Forensic Research & Criminology International Journal 5/2017, S. 3 .

4: Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2019): Europäischer Drogenbericht. Trends und Entwicklungen. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union. Luxemburg, ; Fazel, S., Bains, P., Doll, H. (2006): Substance abuse and dependence in prisoners: a systematic review. Addiction, 101, S. 181-191 .

5: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2019): ; Von Schönfeld u.a. (2006): Prävalenz psychischer Störungen, Psychopathologie und Behandlungsbedarf bei weiblichen und männlichen Gefangenen. Nervenarzt 77 (7), S. 830-841 .

6: Jacobi, F., Wittchen, H.-U., Hölting, C., Höfler, M., Pfister, H., Müller, N., Lieb, R. (2004): Prevalence, co-morbidity and correlates of mental disorders in the general population: results from the German Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychological Medicine, 34, S. 1-15 .

7: Von Schönfeld u.a. (2006).

8: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2019).

9: Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2019).

10: Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2003): Stand der Drogenproblematik in der Europäischen Union und in Norwegen. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union. Luxemburg.

11: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung beim Bundesministerium für Gesundheit (2019).

12: O’Hagan, A., Hardwick, R. (2017).

13: Lines, R., Jürgens, R., Stöver, H., Kaliakbarova, G., Laticevschi, D., Nelles, J., MacDonald, M., Curtis, M. (2004): Dublin Declaration in HIV/AIDS in prisons in Europe and Central Asia: prison health is public health. Breaking the barriers: Partnership in the fight against HIV/AIDS in Europe and Central Asia. Dublin. ; Stöver, H., Michels, I. (2010): Drug use and opioid substitution treatment for prisoners. Harm Reduction Journal, 7, 17, ; Stöver, H. (2002): DrogengebraucherInnen und Drogenhilfe im Justizvollzug - eine Übersicht. Suchttherapie, 3, S. 135-145 .

14: Stöver, H. (2012): Drogenabhängige in Haft - Epidemiologie, Prävention und Behandlung in Totalen Institutionen. Suchttherapie, 13, S. 74-80 .

15: Friedmann, P.D., Melnick, G., Jiang, L., Hamilton, Z. (2008): Violent and disruptive behavior among drug-involved prisoners: relationship with psychiatric symptoms. Behavioral Sciences and the Law, 26, S. 389-401 .

16: Stöver, H., Michels, I. (2010).

17: Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2019).

18: Stöver, H. (2012).

19: Stöver, H. (2002).

20: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2019).

21: Stöver, H. (2002).

22: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2019).

23: Nelles, J., Stöver, H. (2002): Zehn jahre Spritzenvergabe im Gefängnis: Ein Review der bisherigen Spritzenvergabeprojekte in der Schweiz, Deutschland, Spanien und Moldawien. Suchttherapie, 3, S. 155-161

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