In Artikel 12 des deutschen Grundgesetzes ist festgehalten, dass bei einer Freiheitsstrafe Zwangsarbeit zulässig ist. Gefangene sind nach § 41 Strafvollzugsgesetz des Bundes dazu verpflichtet eine zugewiesene, den körperlichen Fähigkeiten entsprechende Arbeit auszuführen. Mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz und Brandenburg gilt dies in allen Bundesländern und ist in deren Gesetzen zum Strafvollzug verankert. Diese Arbeitspflicht soll dem Resozialisierungsziel von Gefängnisstrafen dienen. Durch Förderung der Leistungsbereitschaft, Erprobung von Konflikt- und Kommunikationsfähigkeiten, Verbesserung von Qualifikationen und Entwicklung eines auf der eigenen Leistung beruhenden Selbstbewusstseins, soll die berufliche und soziale Integration von Gefangenen unterstützt und gefördert werden.[1]
Der Stundenlohn von Gefangenen beträgt bundesweit durchschnittlich 1 bis 3 €.[2] Pro Tag verdienen Gefangene in Berlin beispielsweise zwischen 10,32 € und 17,20 €. Der durchschnittliche Netto-Stundenlohn von Arbeitnehmer*innen betrug 2019 dagegen 18,63 €. Die Vergütung der Arbeit in Gefängnissen beträgt also nur knapp ein Zehntel des Durchschnittsentgelts der rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer*innen in Deutschland.[3]
Für Gefangene gilt der gesetzliche Mindestlohn von aktuell 9,35 € pro Stunde nicht, da sie keine Arbeitnehmer*innen im Sinne der Vorschrift sind und ihre Arbeit als Resozialisierungsmaßnahme angesehen wird. Eine verantwortungsvolle Arbeit kann durchaus sinnstiftend und stabilisierend sein und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt nach der Entlassung erhöhen.[4] Auch ziehen es sicherlich viele Betroffene vor, zu arbeiten, statt ihre Zeit untätig in der Zelle zu verbringen. Ein derart geringer Lohn wie ihn Gefangene bekommen ist jedoch in keinem Falle eine leistungsangemessene Vergütung. Für die Gefangenen stellt dies eine negative Lernerfahrung dar: ehrliche Arbeit zahlt sich nicht aus.[5] Als Begründung für die Zwangsarbeit wird gerne das Argument bemüht, dass es sich nicht um Lohnarbeit im klassischen Sinne handelt, sondern die Beschäftigung der Vorbereitung auf ein rechtstreues Leben in Freiheit diene. Doch liegt es auf der Hand, dass eine Wertschätzung durch eine gerechte Entlohnung und eine Erfahrung der Selbstwirksamkeit - indem es den Gefangenen beispielsweise gelingt Schulden abzutragen oder eine Familie draußen zu unterstützen - einen weit größeren Effekt für die Resozialisierung bedeuten könnte.[6]
Forderungen nach ortsüblichen Tarifen wird oft entgegnet, dass die Arbeit im Gefängnis im Ergebnis nicht die gleiche Produktivität wie in der freien Wirtschaft erbringt und die Gefangenen zudem Kost und Logis im Gefängnis nicht bezahlen müssten. Dem letzteren Einwand kann entgegen gehalten werden, dass der Justizvollzug dem Staat jährlich hohen Gewinn einbringt. 2011 lag der Umsatz der Gefängnisse laut Statistischem Bundesamt bei über 150 Millionen Euro. Der Deutschlandfunk hat in einer Recherche mehr als 80 Firmennamen zusammengetragen, die in den letzten Jahren Aufträge an Gefängnisse vergaben. So lassen auch Konzerne wie BMW, Volkswagen oder Miele, Brennenstuhl und Edding aufgrund der für sie günstigen Lohnbedingungen in deutschen Justizvollzugsanstalten Güter produzieren.[7]
Für arbeitende Gefangene wird außerdem nicht in die Rentenversicherung eingezahlt. Zwar können die Rentenbeiträge freiwillig geleistet werden, dies ist jedoch in Anbetracht der niedrigen Entlohnung zynisch. Der Ausschluss aus dem Sozialversicherungssystem widerspricht dem Angleichungsgrundsatz, wonach das Leben des Gefangenen im Strafvollzug dem Leben in Freiheit so weit wie möglich angeglichen werden soll. Gefangene sind aber einem hohen Risiko für Altersarmut und der Abhängigkeit von Grundsicherungsleistungen ausgesetzt. Davon sind besonders diejenigen mit mehreren oder langen Haftstrafen betroffen. Dies gefährdet die Resozialisierung von Strafgefangenen sowie die Straffreiheit von Entlassenen und ist daher nicht mit dem Wiedereingliederungsauftrag des Strafvollzuges vereinbar.[8]
Der geringe Lohn hat außerdem zur Folge, dass weder Unterhalt an Partner*innen noch Entschädigungen an Opfer gezahlt oder Schulden getilgt werden können. In verschiedenen Studien wurde festgestellt, dass gut die Hälfte der Entlassenen überschuldet ist. Die Höhe der Durschnittsverschuldung liegt zwischen 5.000 und 40.000 €.[9] Reformkonzepte aus dem Jahr 1976, welche eine Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung vorsahen, wurden bis heute nicht umgesetzt. Weder der Bund noch die Länder zeigen Bereitschaft das altbekannte Problem zu lösen oder die anfallenden Kosten zu übernehmen.[10]
1:
Arloth, F., Krä, H.
(2017):
Strafvollzugsgesetze.
Bund und Länder. Kommentar. 4. Aufl. München. § 37 Rn. 1, 8,
;
Laubenthal, K.
(2019):
Strafvollzug.
Heidelberg,
S. 314-407
.
2:
Galli, T.
(2020):
Weggesperrt – Warum Gefängnisse niemandem nützen.
Hamburg,
S. 88
.
3:
Vgl.
Ziethener Kreis
(2013):
Gerechtere Arbeitsentlohnung und Alterssicherung für Gefangene! Ziethener Kreis fordert die sozialversicherungsrechtliche Absicherung und bessere Arbeitsentlohnung von Gefangenen.
BAG-S Informationsdienst Straffälligenhilfe 21. Jg. Heft 3/2013,
S. 9
. Online. http://www.bag-s.de/fileadmin/user_upload/PDF/Infodienst/3_2013_BAG-S_Infodienst_Webseite_Archiv.pdf
4:
Galli, T.
(2020):
S. 55, 58
.
5:
Laubenthal, K.
(2019):
Arbeit, Ausbildung, Weiterbildung.
In: Laubenthal, K. (Hrsg.): Strafvollzug. Springer Verlag GmbH,
S. 314-407
.
6:
Galli, T.
(2020):
S. 74
.
7: Stukenberg, T. (2020): Arbeitslohn für Strafgefangene: Resozialisierung oder ungerecht niedrig? Deutschlandfunk Online. https://www.deutschlandfunk.de/arbeitslohn-fuer-strafgefangene-resozialisierung-oder.724.de.html?dram:article_id=482581
8: Müller, C. (2017): Selber schuld? Analyse des AWO Bundesverbandes e.V. von strukturellen und institutionellen Armutsursachen. BAG-S Informationsdienst Straffälligenhilfe 25. Jg. Heft 2/2017, S. 4-5 . Online. https://www.bag-s.de/fileadmin/user_upload/PDF/Infodienst/Infodienst_2-2017_fuer_Homepage.pdf
9: Cornel, H. (2016): Resozialisierungsziel versus Rückfallrisiko Überschuldung. BAG-S Informationsdienst Straffälligenhilfe 24. Jg. Heft 1/2016, S. 28-33 . Online. https://www.bag-s.de/fileadmin/user_upload/PDF/Infodienst/Infodienst_1_2016_fuer_Homepage.pdf
10:
Deutscher Bundestag
(2019):
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Markus Kurth, Sven Lehmann, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/7887 – Einbeziehung der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung.